FAUL SEIN IST LUXUS
Unter allen Genüssen, die man zu erhaschen sucht, sticht einer heraus, den sich jeder gönnen kann und der darüber hinaus gratis ist: Im schlichten Nichtstun erhebt sich der wahre Genießer. Ihn fasziniert die friedlichste aller Zahlen, die Null. Er hält still. Atmet nur und schaut. Starrt Löcher in die Luft. Genügt sich selbst.
Leider ist der Müßiggänger nicht gut angeschrieben. Ihn trifft die Schande der Unproduktivität. Man schimpft ihn Nichtsnutz und vergisst, dass er gut zu uns ist. Er verbraucht kaum Ressourcen, beutet nichts und niemanden aus, krümmt der Welt kein Haar. Und ist ein Träumer, der sich in Stunden die Zukunft erschafft, während er keinen Finger rührt. Nicht angewiesen auf anderer Lebewesen Werk, kostet er von den Vorstellungen seiner Fantasie. Reist in ferne Länder, träumt sich in die Rolle von Königen und Dichtern, sieht Revolutionen im Blut der Ungerechten versinken und deckt den Tisch für seine Freunde mit wunderbaren Spezereien aus dem Morgenland. Und wenn man so dasitzt und nichts tut, dann kann der Luxus der Faulheit ins Unermessliche steigen, wenn man sich dabei in Gesellschaft Gleichgesinnter weiß.
Faul sein ist klug. Das sagt die Biologie. Und die Medizin. Wenn sonst nichts passiert, wird man länger leben. Ein träger Körper verbraucht weniger Lebensenergie, gerät nicht in herzhaften Stress und altert daher langsamer. Das zeigen Tiere vor, die ausgiebige Schlafperioden halten oder sich überhaupt mehr Ruhe gönnen. Untersuchungen verschiedener Arten führen zu dem Schluss, dass bezogen auf Körpergröße und Gewicht jedes Lebewesen über dieselbe Gesamtenergie verfügt. Wer sie schneller verbraucht, ist früher tot. Daraus folgt: Je schwerer ein Lebewesen, umso langsamer sein Stoffwechsel, umso sparsamer sein Energieverbrauch, umso länger sein Leben. Und da große Tiere meist trägeres Verhalten zeigen, werden Elefanten, Schildkröten oder faule Großvögel viel älter als zum Beispiel quirlige Mäuse. Umgelegt auf den Menschen ist die Sorte gefährdet, die nur hart arbeitet und in der Freizeit weiter hetzt, weil der Tennisball noch erreicht oder ein Gipfel in Rekordzeit bezwungen werden will. Gescheiter wäre es also, sich auf die faule Haut zu legen und in ein hohes Lebensalter hineinzudämmern. Dem steht meist die Notwendigkeit des Broterwerbs entgegen und der Erhalt der Familie. Dazu kommt in vielen Fällen der stete Wunsch nach mehr. Mehr Geld, mehr Besitz, mehr Einfluss, mehr Lust. Genuss ist, so er den Gedanken an Allerbestes provoziert, teuer erkauft. Und sehr, sehr anstrengend.
Ist der Freund luxuriöser Gefühle auf den Geschmack gekommen, kommt er davon nicht mehr los. Man kann nicht Perlmuttknöpfe lieben und an Antilopenleder vorbeigehen. Nicht in Slumberette-Gestühl über die Ozeane fliegen, um dann im „Peninsula“ zu Hongkong nur ein Kracherl zu trinken. Das kostet. Entweder arbeitet man sich den Buckel krumm, um sich finanziell gewappnet ungebremst den Materialien edelster Sorte hinzugeben. Oder man ist reich geboren, so reich, dass man sich beeilen muss, um in den lächerlich wenigen Jahren, die man bei guter Führung hier verweilen darf, alle Genüsse auszukosten, die die Welt zu bieten hat. Niemand erfasst das Leid dieser Leute, die von ihrer Lust nach Luxus um den Erdball gejagt werden, immer dem erlösenden „Ahhhh“ hinterher.
Aber es geht auch einfacher: ein Spaziergang im Wald mit der Elegie des Alleinseins. Ein Blick über die sanften Hügel des Mühlviertels. Ein kleines Taschenbuch und der Schauder im Kitzel der kostbaren Worte. Die Betrachtung eines simplen Gänseblümchens als Sinnbild der Schöpfung und der Weisheit. Und noch schlichter, wenn man – wie eingangs empfohlen – gar nichts tut. Die Hände in den Schoß legt, in kluger Trägheit verharrt und wartet, wie man würdevoll ein hohes Alter erreicht.